Welt im Nebel

314 Menschen wurde sexuelle Gewalt angetan. Mindestens. Im Erzbistum Köln zwischen 1975 und 2018. Die Hälfte von ihnen war unter 14(!) Jahre alt. Sie sind Opfer von Tätern, die im Auftrag der Kirche gearbeitet haben oder heute noch arbeiten. Diese Priester gaben sich als Botschafter des Guten aus und entpuppten sich als der Teufel.

Das hat ein lange erwartetes Gutachten jetzt belegt. Ist damit alles klar? Ist mit den 900 Seiten alles gesagt oder sogar alles aufgeklärt?

Nein, auf keinen Fall und meine große Sorge ist: Das wird auch nicht mehr geschehen. Die Strategie des Kölner Erzbistums scheint damit aufzugehen.

Am Thema vorbei

Das Gutachten sollte untersuchen, „ob es im Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger und Schutzbefohlener im Zeitraum von 1975 bis 2018 zu Fehlern gekommen ist und wer hierfür die Verantwortung trägt.“ Es wurde von Kardinal Rainer-Maria Woelki bei der Kanzlei Gercke-Wollschläger in Auftrag gegeben. Es gab dazu viel Diskussion, weil:

  • mit Woelki ausgerechnet ein Verdächtiger dieses Gutachten in Auftrag gegeben hat.
  • die Kanzlei Gercke-Wollschläger ebenfalls aus Köln ist und somit möglicherweise nicht ganz unabhängig.
  • die Kanzlei Gercke-Wollschläger auf Strafrecht spezialisiert ist und nicht auf Kirchenrecht.
  • ein erstes Gutachten der Münchener Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl, vom Erzbistum wegen rechtlicher Bedenken und methodischer Mängel, die nicht näher erläutert werden, zurückgehalten wird. Obwohl diese Kanzlei bereits für andere Bistümer (Freising und Aachen) einwandfreie Gutachten abgelegt hat.

Und damit ist man schon mittendrin in einer Diskussion, die meiner Meinung voll am Thema vorbeigeht. All diese Punkte lenken vom eigentlichen Kern ab. Man muss nochmal einen großen Schritt zurück machen.

Denn: Es kann nicht sein, dass

  • eine Anwaltskanzlei ein derartiges Gutachten erstellt.
  • nicht eine wirklich unabhängige, interdisziplinäre Gruppe aus Wissenschaftlern diese Untersuchung macht. Kirchenrechtler, Soziologen, Psychologen, Historiker, Kriminologen, und Strafrechtler
  • die Gutachter sich nicht frei in den Archiven bewegen dürfen und nur eine vom Bistum selbst ausgewählte Aktensammlung erhalten.

Die Anwaltskanzlei hat die 314 Opfer und 202 Beschuldigten allein auf Grundlage von 236 Aktenvorgänge und 107 Personalakten identifiziert. Akten, die ihr zur Verfügung gestellt wurden. Dazu Protokolle und Gesprächsnotizen.

Viele Ungereimtheiten

Auffällig ist, dass ausgerechnet in diesen Akten, kein Fehlverhalten des Kardinals und Auftraggebers Rainer-Maria Woelki zu finden ist. Vielleicht ist es auch merkwürdig. Manch einer spricht jetzt trotzdem von einem Freispruch für Woelki. Doch eigentlich müsste es lauten: Freispruch auf Grundlage von 236 Akten.

Woelkis Ziehvater und Vorgänger Kardinal Meisner (1933-2017) hat laut Gutachten einen Geheimordner geführt. Titel „Brüder im Nebel“. Wie soll man sicher sein, dass es nicht noch weitere Geheimordner gibt? Oder anders gefragt: Warum soll man nicht davon ausgehen, dass noch weitere Geheimordner existieren?

Im Gutachten findet sich dieser Satz: „Von Seiten des Erzbistums Köln wurde insoweit eine Vollständigkeitserklärung abgegeben, wonach den Gutachtern der gesamte Aktenbestand mit Bezug zu sexuellem Missbrauch an Minderjährigen aus dem Untersuchungszeitraum zur Verfügung gestellt wurde, ohne dass zuvor Akten und Aktenteile entfernt worden wären.“ (S.19)

Das schließt aber nicht aus, dass nicht doch Akten zurückgehalten wurden. Geheimordner heißen Geheimordner, weil sie geheim bleiben sollen. Und was ist eigentlich mit Fällen, die nicht in Akten vermerkt sind? Franz-Josef Strauss soll mal gesagt haben: „Quod non est in actis, non est in mundo.“ Auf Deutsch: „Was nicht in den Akten ist, das ist nicht in der Welt.“

Viele Nebelkerzen

Es gibt also zahlreiche Ungereimtheiten und es macht mich noch misstrauischer, dass weder die Beschuldigten (Kirche, Woelki, Bistum) dieses weder zugegeben noch von alleine darauf zu sprechen kommen. Vielsagend das Interview mit Woelki in den Tagesthemen am Tag der Veröffentlichung: „Ich bin dankbar, dass wir dieses Gutachten haben. Ich habe es in Auftrag gegeben.“

Es ist ein rein juristisches Gutachten. Die Opferperspektive fehlt. Und der Kardinal sagt dazu im gleichen Interview: „Diese Kritik ist uns wichtig, und es ist wichtig, dass diese Kritik immer wieder an uns herangetragen wird, damit wir sie im Geschäft des Alltags auf gar keinen Fall vergessen.“

Wie zur Hölle kann man die Opferperspektive vergessen? Im Geschäft des Alltags? Wie bitte?

Insofern kann ich verstehen, dass Karl Haucke, ehemaliger Sprecher des Kölner Betroffenenbeirats von einer „Showveranstaltung“ spricht. Eine Inszenierung, die sagt: Na bitte, die lückenlose Aufklärung ist gemacht: Die Opfer sind gezählt, die Täter stehen fest.

Was will man mehr?

Antwort: Das, was man erwarten kann: Ein wirklich unabhängige, wirklich umfassende Untersuchung mit einer moralischen Bewertung.

Aber stattdessen sprechen alle nach der Veröffentlichung über abstrakte Zahlen, über die Methodik des Gutachtens, über das Hin und Her mit dem ersten Gutachten und über zwei, drei Kleriker, die ihre Pflichten verletzt haben. Die Schwere der Taten, die wirklich unfassbare Dimension bleiben mal wieder im Nebel.

Auch ich bin darauf reingefallen. Auch ich habe am Abend im Deutschlandfunk ein Interview mit Thomas Sternberg vom Zentralkomitee der Katholiken geführt, das am eigentlichen Thema vorbeiging. Auch ich habe damit zur Verwissenschaftlichung der Verbrechen beigetragen.

Bewährtes Mittel der Krisenkommunikation

Und irgendwie kommt mir das bekannt vor. Schon öfter hatte ich das Gefühl, dass nach einer großangekündigten Transparenzoffensive eine gewisse Unzufriedenheit zurückbleibt. Ein fader Nachgeschmack, wie nach einer Zaubershow. Das Gefühl die ganze Zeit auf die falsche Stelle gestarrt zu haben, etwas verpasst und übersehen zu haben. Irgendwie an der Nase herumgeführt worden zu sein. Das Erzbistum Köln hat sich da Einiges bei anderen großen Showmaster, wie Volkswagen, Deutsche Bank oder Deutscher Fußball Bund abgeguckt.

Oft geht es bei einem Aufklärungsprozess nicht darum die Missstände unabhängig und lückenlos aufzuarbeiten, sondern darum, nur den Eindruck zu erwecken, die Missstände unabhängig und lückenlos aufzuarbeiten. Am einfachsten geht das, indem man damit eine externe Kanzlei beauftragt, die nach außen hin das Image einer neutralen, unabhängigen Instanz pflegt. Und nach innen die Interessen ihres Auftraggebers verfolgt.

Der mögliche Vorwurf zu Beginn des Prozesses, die Kanzleien seien weder unabhängig noch neutral, lässt sich schnell unter den Teppich kehren. Denn selbst eine Debatte darüber lenkt vom eigentlichen Fehlverhalten ab. Dann geht es nicht mehr um Betrug oder Missbrauch, sondern um die Wahl der Kanzlei oder deren Methode. Man könnte es „Verwissenschaftlichung des Verbrechens“ nennen. Ein reines Ablenkungsmanöver.

Besonders gut scheint in dieser Art von Krisenbewältigung die Großkanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer zu sein. Sie war u.a. in Sachen Diesel-Betrug für Audi und VW tätig, genauso wie im Sommermärchen-Skandal für den DFB. Jüngst hat die Süddeutsche Zeitung darüber berichtet, dass die Kanzlei die Staatsanwaltschaft bei der Aufklärung der Abgasaffäre bei ihrem Kunden Audi massiv behindert haben soll.

Ähnlich beim Kunden DFB. Hier hat sich die Großkanzlei nachdem sie für den Beschuldigten ein Gutachten verfasst hat, gewehrt, Unterlagen an die Staatsanwaltschaft weiterzugeben.

Und im Cum-Ex-Komplex, dem größten Steuerbetrug der bundesdeutschen Geschichte, soll der frühere weltweite Steuer-Chef bei Freshfields, einer der Drahtzieher gewesen sein.

Auch wenn das Kölner Erzbistum keine Großkanzlei ausgewählt hat, sondern eine renommierte Kanzlei für Strafrecht ist die Methode doch vergleichbar. Die Kanzlei hat sich als Feigenblatt benutzen lassen. Wäre sie unabhängig und allein an der Aufklärung interessiert, hätte sie nie einem Auftrag zugestimmt, der ihr keinen freien Zugriff auf alle Archive gewährt. Aber selbst wenn nicht, irgendein anderer renommierter Jurist hätte sich schon gefunden.

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