Tarik Samarah sagt, seine Arbeit sei ein bisschen masochistisch. Denn er mag es, wenn ihn diese Hassgefühle, dieser Schrecken, dieses Leid innerlich zerfressen. Er hat tausende schwarz-weiß Fotos gemacht von Massengräbern, von Leichen, Verletzten, Überlebenden in Flüchtlingscamps. Er hat die Galerie 11/07/1995 gegründet. Zur Erinnerung der Massaker von Srebrenica an eben jenem Datum. Dort sind seine Bilder in einer Dauerausstellung zu sehen. Vorher waren sie bereits in Galerien auf der ganzen Welt und im Hauptquartier der UN in New York zu Gast.
Sein Museum ist ein besonderer Ort in Sarajewo. Eine Stadt, die so geschichtsträchtig ist, aber kaum daran erinnert. Die Brücke zum Beispiel, an der 1914 der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand ermordet wurde. Nur eine unscheinbare Glastafel erinnert daran. Immerhin war dieses Attentat mitentscheidend für den Ersten Weltkrieg.
Direkt neben der Brücke ist das Stadtmuseum Sarajewos. Auch sehr bescheiden. Nicht größer als eine Doppelgarage vielleicht. Ein paar Vitrinen dazu ein einziger Touchscreen. Das wars. Nicht viel anders verhält es sich mit dem Gedenken an die Opfer des Bosnien-Krieges 1992. Sarajewo befand sich monatelang unter Belagerung. Ein schreckliches Kapitel europäischer Geschichte, doch ein Mahnmal oder eine Stätte der Erinnerung lässt sich nur schwer finden.
Wenn man die Menschen hier nach Gedenkstätten fragt, auf der Straße oder im Touristenzentrum dann sagen sie meist: „Warum sich mit der Vergangenheit beschäftigen, jeder weiß wie schrecklich die war. Lieber in die Zukunft blicken.“ Vielleicht ist es ein kultureller Unterschied, sagt Fotograf und Museumsgründer Tarik Samarah, dass in Deutschland dem Holocaust ganz anders gedacht wird, aber er glaubt es hat noch einige andere Gründe.
„Die ethnischen, religiösen Konflikte, die es damals gab, das Gedankengut, das zum Krieg geführt hat, der Faschismus, den gibt es heute noch“, meint Samarah. Eigentlich sei es Aufgabe der Politik, die Vergangenheit aufzuarbeiten, damit solche Schreckenstaten sich nicht wiederholten, doch die tue das nicht. Sie habe Angst die alten Gräben wieder aufzureißen. Und ähnlich wie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg sind auch hier nicht alle Täter zur Rechenschaft gezogen worden. Zwar wurden manchen Hauptschuldigen in Den Haag der Prozess gemacht, aber nicht allen. Manche würden laut Samarah heute immer noch wichtige Ämter bekleiden.
Wenn man sich Bosnien-Herzegowina näher anschaut, dann wundert es schon ein wenig, dass die unterschiedlichen Gruppen, muslimische Bosniaken, serbische und kroatische Bosnier hier mittlerweile friedlich zusammenleben. Denn alle drei haben gegeneinander gekämpft damals im Jugoslawien-Krieg. Und noch heute gibt es eine Zweiteilung in die serbisch dominierte Republica Srpska im Norden (deren Armee hat den Genozid in Srebrenica begangen) und die Föderation Bosnien-Herzegowina. Beide jeweils mit eigener Exekutive und Legislative. Staatsoberhaupt ist ein Staatspräsidium, dessen Vorsitz jeweils alle acht Monate zwischen den drei Bevölkerungsgruppen wechselt.
Klein-Jerusalem nennt man Sarajewo auch wegen seiner religiösen Vielfalt. Es scheint aber ein relativ fragiles Gebilde zu sein. Uns hat man gesagt, dass man hier beim Kennenlernen immer zuerst nach dem Namen fragt und dann gleich nach der Religion. Auch ist der Krieg noch gegenwärtig. Einschusslöcher sind noch zu sehen. Aber Mahnmale wie gesagt nicht.
Samarahs Gallerie ist deshalb ein wichtiger Ort in Sarajewo. Etwas versteckt in der Altstadt. Er selbst sagt, es ist die einzige unabhängige Erinnerung an den Krieg. Er ist stolz darauf, alles nur aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Zahlreiche Politiker waren schon zu Besuch. Selbst die mussten Eintritt zahlen. Eine sehr gelungene Ausstellung, wie ich finde. Sie lässt einen fassungslos zurück.
Aber sie ist auch keine neutrale Ausstellung. Kriegsverbrechen wurden damals auf allen Seiten begangen. Die Fotos und Filme in der Gallerie 11/07/1995 widmen sich ausschließlich den Verbrechen von serbischer Seite.
Samarah sagt: „Je kürzer das Leben, desto größer ist es!“