Es hat schon einige Vorteile, in der Vorsaison zu reisen. Man muss zum Beispiel weniger in der Schlange stehen. Man muss sich seltener mit anderen Touristen um die besten Fotospots prügeln. Die Preise sind niedriger. Und die schönen Flecken dieser Erde sind noch nicht von desorientierten, gestressten, rastlosen Reisebustouristengruppen belagert. Nicht ständig steht jemand von ihnen im Weg oder rempelt einen über den Haufen.
Nur selten passiert es dann wie an der Touristeninformation in der wunderschönen Bucht von Kotor in Montenegro, dass sich während des Kundengesprächs zuerst eine Hand von hinten an einem vorbeischlängelt, um an ein Exemplar der Gratis-Landkarten zu gelangen. Und noch seltener passiert es dann, dass wenig später ein ungeduldiger Pole das Gespräch gleich ganz unterbricht, um ebenfalls sein Anliegen loszuwerden. Welches natürlich viel dringender ist, als alle vor ihm. Und ganz selten passiert es in dieser Vorsaison, dass die Mitarbeiterin der Auskunftsstelle dann all die aufgeregten Besucher anlächelt und mit den Worten reagiert: „Touristen sind immer im Stress.“ Eine Gelassenheit, die sich wohl nicht bis über die gesamte Urlaubssaison hinwegretten lässt.
Aber es hat auch Nachteile in der Vorsaison durch das autobahnfreie Montenegro zu reisen. Denn in dieser Zeit, scheint das ganze Land in nervösen Vorbereitungsarbeiten zu stecken. Montenegro eine einzige Baustelle. Kaum eine Ecke des Landes, in der nicht am bohren, hämmern oder fegen zu sein scheint. Kaum ein Morgen, an dem man nicht von röhrenden Betonmischern, rufenden Bauarbeitern oder knatternden Presslufthammern geweckt wird. Aber selbst das kann seine guten Seiten haben.
Auf dem Campingplatz in Djenovic ist man dann nämlich der einzige Gast. Die Besitzerin empfängt einen mit dem Satz: „Eigentlich haben wir noch zu, aber für Euch machen wir eine Ausnahme.“ Man muss dann auch nur 5 Euro zahlen pro Nacht. Und weil die Besitzerin ohnehin noch nichts zu tun hat, außer die Bauarbeiten zu beaufsichtigen, ergibt sich auch ein ein netter Morgenplausch beim Kaffee, der sich bis mittags hinzieht und an dessen Ende, nicht mehr nur der Kaffee auf dem Tisch steht, sondern ein Glas selbst eingemachtes Obst zum Probieren, Kiwis aus dem Garten, ein schöner Fotokalender von den Sehenswürdigkeiten des Landes und diverses Kartenmaterial.
An dessen Ende hat man auch erfahren, dass der Großvater der Campingplatz-Familie der erste Bürgermeister der Ortschaft war und ein großer Seefahrer. Spiro Danilovic hieß er und er hatte bereits in den 1840ern zig Kontinente besucht und Kaffeeladungen aus Brasilien nach Montenegro gebracht. Im Zweiten Weltkrieg wurde sein Schiff dann von den Franzosen beschlagnahmt, wogegen er erfolglos geklagt hat. All das hat sein Enkel ihm zu Ehren in einem geschmackvollen Flyer festgehalten, den wohl all seine Besucher in die Hand gedrückt bekommen. Manche auch gleich mehrere. Und sein ganzer Stolz: Vor dem Campingplatz prangt eine nagelneue Betonbüste des großen Großvaters.
Vor dem großen Touristenansturm ab Juni hat man also in Montenegro noch Zeit für die wichtigen Dinge. Obwohl es noch viel zu tun gibt, und gar nicht mehr viel Zeit bleibt. Und, obwohl, wie die Campingplatz-Besitzerin sagt: „Die Montenegriner eher faul sind.“ Es gäbe ein Sprichwort, führt sie fort: „Nach dem Aufstehen, wird sich hier erst mal auf die Bettkante gesetzt.“ Dann wäre das halbe Tagewerk also schon mal geschafft.
Und so fühlt man sich etwas an dieses Sprichwort erinnert, wenn man die Lobby des Hotels Vir in Virpazar am wunderschönen Sukarisee betritt und die drei Angestellten, den Hotelkoch, den Ober und die Empfangsdame beim gemeinsamen Limonadetrinken am separaten Beistelltisch unter der Treppe stört, weil man gerne ein Zimmer haben möchte. Das stellt sich dann auch als gar nicht so leicht heraus, weil alle drei heute den ersten Tag arbeiten und noch keine Einarbeitung hatten, wie sie sagen. Dann wird schon die Frage nach dem Zimmerpreis zur großen Herausforderung. Die Empfangsdame muss dafür zuerst den Chef fragen. Und der ist natürlich nicht im Haus. Telefonisch erreichbar ist er auch erst nicht. Dann bricht die Handyverbindung dauernd ab.
Irgendwann klappt es dann. Aber ist der Zimmerpreis nun inklusive Frühstück oder nicht? Besser der Gast telefoniere selbst nochmal mit dem Chef. Mit einem Lächeln reicht die Empfangsdame das Handy rüber. Startschwierigkeiten eben, Vorsaison.
Ja, wenn das so ist: Wie soll so ein Land es denn dann überhaupt in die Europäische Union schaffen? Die Verhandlungen laufen, 2025 soll es soweit sein. Unmöglich, winkt der Lyriker Velibor Fulurija ab. Er schreibt Gedichte auf Englisch, Französisch und Deutsch. Auf Deutsch erst seit sechs Monaten. Die Sprache hat er übers Radiohören gelernt. Er arbeitet in einem Buchladen in Herceg Novi – da hat er viel Zeit. „Montenegro wird es nicht schaffen in diesem erbitterten Wettkampf der EU mitzuhalten.“ Und das müsse es auch gar nicht, denn man sei ohnehin nur die Marionette der großen europäischen Mächte Deutschland und Frankreich, meint Velibor. (Hier unser Gespräch zum Nachhören.)
Der Straßenfeger im Touristenörtchen Kotor siehr das etwas anders. Er war während des Krieges in den 90ern nach Deutschland geflüchtet und kann immer noch gut deutsch. Er sammelt jetzt für 700 Euro im Monat Müll auf. 10 Stunden am Tag. Sieben Tage die Woche. „Arbeit ist alles – und EU heißt Arbeit“, sagt er sinngemäß.
Auch er macht die Stadt schön für die Touristen. Montenegro ist in der Vorsaison und macht sich bereit.